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Ice hockey with Mickey Mouse and Adam Green

The Shark

Dekonstruktion der Dekonstruktion der Deko-konstruktion. Wann hört diese Mode endlich auf? Basel, 2023, sorry! Im Eishockey wird doppelt via Bande gespielt um den Gegner zu verwirren. Adam Green haut sich den Puck gleich selbst in die Nüsse. Oder, zumindest: Er bringt sie aufs Papier. Green liebt es Hoden und Penisse zu malen.



Adam Green – der vor allem als Musiker bekannte US-Künstler– smootht uns durch den kleinen (neuen) Additional Space, ein Whitespace in einem Wohnhaus, in einer Wohnung. In einer Wohnung in welcher gut und gerne eine ganze Familie wohnen könnte, ich welcher ich selber gut und gerne wohnen würde. Nun befindet sich hier aber anstelle von Leben weisse Leere, wie in der Kunsthalle, einfach ohne Halle. Elena Filipovic ist auch anwesend. Sie schaut sich einen fast leeren Raum mit Bildern an, die Comic-Figuren mit Nahtoderfahrungen zeigen. So erzählt es Green jedenfalls ungebeten einer vermeintlich interessierten Gruppe, welcher ich mich anschliesse. Adam Green scheinen seine Figuren zu gefallen. Im nächsten Raum hat’s zwei Grabsteine und viele Zeichnungen von Mickey Mouse – zerstückelt. Er habe sich vorgestellt, was Archäologen in vielen tausend Jahren denken, wenn sie Bilder von Mickey Mouse ausgraben. Eine schöne Idee.

Gelangweilt schlendert die kleine Gruppe in die überfüllte Küche. Endlich sehe ich die Crowd. Alle kennen sich. Eine eingeschworene kleine Gruppe von CMS-Kulturfreunden. Immer auf der Pirsch nach einem nächsten Coup. Getränke und Buffet sind gratis. Eine schöne Geste. Die grösste Attraktion scheint jedoch der Balkon zu sein.

Schnell eine Wildschweinroulade von Kult einwerfen und ab ins Gedränge auf dem kleinen Balkon. Alles gratis – wie in einem Traum. Auch die Büchlein von Green. Da sollten wir hellhörig werden, denke ich. Warum gibt’s hier gratis Bücher und Essen? Brot und Spiele? Was habe ich getan? Wo soll ich unterschreiben? Und plötzlich finde ich alles super. Ich würde meinem Jugendidol Green gerne noch ein paar Fragen stellen, aber es fallen mir keine mehr ein. Das Gratis-Bier haut langsam rein.

Ich werde in Gespräche über Fördermodelle verwickelt und stolpere über etwas glitzerndes. Ich verliere das Gleichgewicht, stürze rückwärts durch die splitternde Glasscheibe in den Whitespace mit den beiden Grabsteinen. Alles dreht sich.

Grabsteine im Additional Space: Foto by The Shark



Ich liege auf dem Rücken, sehe riesige Hoden über meiner Nase kreisen. Ich schlage sie zur Seite und richte mich auf. Die ganze Vernissage-Gruppe hat sich um einen runden Tisch versammelt, zu einem grossen Bankett. Der Raum ist schummrig, gemütlich, der Tisch voller üppiger Speisen. Rings um den Tisch hängen die Bilder von Adam Green, angeleuchtet von kleinen farbigen Lichtergirlanden. Die öde Whitespace-Struktur scheint aufgegeben worden zu sein. Der Additional Space verwandelt sich in einen spannenden Hybrid aus Wohnung, Ausstellung und Performance. Oder euphorischer: in einen runden Tisch mit guten Freunden.
Auch Mickey Mouse sitz an der Tafel. Er hat sich zum Spass den Kopf abgehackt und trägt ihn unter seinem rechten Arm. Es schaut ungewohnt aus, wie er da isst, quietscht und lacht.

Endlich bekomme ich die Aufmerksamkeit des Tisches und frage Adam leise: «Was zur Hölle hat dir Mickey Mouse getan? Warum zerhackst du ihn? Was hat dir Amerika getan?» Adam Green beginnt zu weinen und Philippe Karrer, Kurator des Additional Space geht dazwischen. Daraufhin springt Green zu Mickey rüber und die beiden halten sich fest wie Yin und Yang. Jetzt verstehe ich ihn – er meint es ernst. Das muss respektiert werden. Ich reiche ihm zur Versöhnung die Hand. Plötzlich schaut mir Karrer böse und tief in die Augen. Doch ich löse mich von seinem Hypnoseversuch und wende mich an die Runde: «Stellt euch eine Schrebergartensiedlung vor. Alle bauen ihr eigenes Gemüse an, alle hissen ihre eigene Flagge, alle machen dasselbe. Sie kuratieren ihre Freiheit und doch beginnt der Kleinbürgerkrieg an allen Zäunen. Nun meine Frage: Ich würde mich gerne für diesen Schrebergarten bewerben. Was muss ich…» Elena Filipovic haut mir ihre Faust ins Gesicht, ich verliere das Bewusstsein, und wache ein weiteres Mal auf.

Mickey Mouse at Additional Space. Foto: The Shark


Ich muss auf einem Feldschlösschen alkoholfrei ausgerutscht sein und das Bewusstsein verloren haben. Alles nur ein Traum? Der Balkon des Additional Space ist immer noch rappelvoll. Ich recherchiere auf meinem Handy. Adam Green sagte 2010 in einem Interview, er ertrüge Menschen nur wenn er besoffen sei. Ich bin beruhigt. Im Whitespace sind nach wie vor nur vereinzelte Gäste, welche sich nicht in die Nähe des Stars des Abends trauen. Ich verabschiede mich französisch von meinem Jugendidol und schwinge mich auf mein Fahrrad, verschwinde langsam in den vertrauten und verträumten Strassen Basels.