ooo is a digital platform for art and culture that emerged in 2022 from an initiative of cultural practitioners and artists. Through a changing pool of artists, writers and journalists from the field of art and beyond, ooo reflects and presents artworks, exhibitions and events through diverse approaches and forms of expression.

Everything you've always wanted to sell us.

Romy Trommler

Der Sologitarrist, der in Schwimmflossen und Mönchskuttenhoodie, mit langem Unterkinnbart auf einer überdimensionierten Bühne steht - die so groß ist, dass es für Zuschauende kaum noch Platz zwischen Wand und Bühne gibt - und reduzierte Metal-Phrasen-Gitarren-Riffs auf einer Headless Gitarre spielt, bietet ein gelungenes Spektakel und macht Eindruck auf mich. Er ist umringt von Malereien, die Figuren und Köpfe abbilden und wie groteske Bildnisse von eher unbeliebten Familienangehörigen anmuten. Sie scheinen den Sologitarristen von den voll behangenen Wänden her, über die Kluft zwischen Wand und Bühne hinweg, aus ihren leeren Augen heraus zu beobachten und zu beurteilen. Für einen Moment meine ich eine Familienähnlichkeit oder zumindest ein vages Element der Zugehörigkeit zwischen ihnen und dem Musiker ausmachen zu können.

Der Raum entleert sich, als die Darbietung beendet ist und die Ausstellungsbesucher:innen in die Bar übersiedeln. Der Sologitarrist verschwindet und überlässt der Bühne selbst den Raum, die leer, aber hübsch geschmückt in Glitzerkleid feierlich an die letzte Turnhallenweihnachtsfeier denken lässt und mich melancholisch stimmt (früher war mehr Lametta). Auf ihr bleibt ein Sammelsurium verlorener Gäste in Form von ein paar Skulpturen zurück, die an leere, in Stärke getränkte, zerknautschte Lakengeister erinnern. Wie auch der Sologitarrist tragen sie Mönchskuttenhoodie und Schwimmflossen, teilweise aber auch Cowboystiefel.

photo by Romy Trommler


Mit dem Verstreichen der Performance und der bloß flüchtigen Aktivierung der Bühne transformiert sich die Ausstellung in ein Unwirkliches. Sowie wenn du den heißen Ofen aufmachst, um nach deinem Kuchen zu schauen und es dampft dir richtig eindrücklich ins Gesicht, es brennt kurz sogar in den Augen und du bist schwer beeindruckt. Sobald aber der heiße Nebel verdampft ist und du etwas genauer hinsiehst und vielleicht noch ein wenig in dem Kuchen herumstocherst, fällt alles in sich zu einer grauen, langweiligen Pampe zusammen.

Die Malereien wirken eher wie flache Poster, die im Berliner neoexpressionistischen Stil von Middendorf und Fetting gestaltet sind und 90er Jahre Heroin Chic Vampir Modells abbilden, die in irgendwelchen Zirkuszelten rumhängen. Den Bildern fehlt wohl absichtlich jede Tiefe und jedes Volumen, die Farben ziehen sich gegenseitig nicht mal runter, sondern neutralisieren sich eher. Die ästhetische Sprache erinnert an Modekataloge, in denen ein seltsames Körperbild vermittelt wird – ähnlich seltsam kaputt wie die zwischenmenschlichen oder zwischen-Werwolf-und-Vampirischen Beziehungsmodelle in den Twilightfilmen. Auch die leeren Augen sind kein berauschendes Stilmittel, vor allem nicht, wenn man einmal der Madame Kisling von Modigliani in die leeren Augen blicken durfte, die auch im Bereich Wangenknochen einiges voraus hat.

google search


Ohne den Sologitarristen in Taucherflossen fühle ich mich sehr orientierungslos auf der großen Bühne und werde das Gefühl nicht los, dass mir hier irgendjemand irgendetwas Uninteressantes verkaufen will. Der fortgesetzte Ausstellungsbesuch konfrontiert mich im zweiten Raum mit einer Kleiderschrankabteilung einer kleinen Brockenstube, die ich kommentarlos überspringe. Die Bügeleisen im letzten Raum bilden für mich einen gelungenen Abschluss, weil ich mir sicher bin, dass die Protagonist:innen der Malereien mit diesen Bügeleisen so mickrig und flach gebügelt wurden.

Im Bookshop liegt von Spichtig empfohlene, die Ausstellung begleitende Lektüre aus. Darunter finde ich ein Black-Metal-Zine, in dem ich ein Zitat lese: “I hope people still like our music. I think it endures because we are genuine. Our sound is a reflection of us and not whatever is fashion at the moment”. In meiner Erinnerung geht es bei Blackmetal wirklich darum, jegliche modischen Erscheinungen zu entsagen, Kirchen zu verbrennen und an toten Raben zu schnüffeln. Bei der Ausstellung “Everything No One Ever Wanted” geht es in meiner Wahrnehmung eher um das Gegenteil: mit Hilfe von Stilmitteln aus der Metal- und Punk-Kultur und der Abbildung toxischer Körperbilder einfache visuelle Effekte zu generieren, die einen vor allem durch die Sprache der Modewelt informierten Fashionkosmos kreieren, in der es in erster Linie darum geht, sich so effektiv wie möglich zu einem inhaltsleeren, pseudo-nonkonformen kapitalen Gut zu transformieren und sich dabei gegenseitig cool zu finden.

photo by Romy Trommler