Mosquitoes and other thieves in the tropical institute
Hotel Simplon
Wie Schafe, die auf dem asphaltierten Boden eines ehemaligen Chemiefabrikgeländes von einem Hirten zur Abendruhe zusammengetrieben werden, sassen wir draussen in der ersten warmen Mainacht. Viele hatten Pommes und ölige Pizza im Mund und kauten darauf herum, die Augenlider hingen schon ein bisschen, die Getränke waren so inhaltsleer wie die respektlosen Kommentare, die bereits die interessanten Unterhaltungen abgelöst hatten.
An dieser Szene waren zwei zielstrebig vorbeigeeilt, waren wie Schatten mit weissen Kappen und Jogginghosen durch die speisende Herde hindurch geschlüpft und im Eingang der Ausstellung verschwunden. Aber von den beiden Dieben später mehr. Eine Woche zuvor, am Donnerstagabend, noch vor dem ersten Mai, haben wir im Ackermannshof Bärlauch-Tortellini gegessen. Wobei es wohl kein Bärlauch war, sondern Spinat, der da so grün und gesund zwischen den buttrigen Teigwaren hervorgeleuchtet hatte. Der Koch war wegen der achtlosen Verwechslung plötzlich kurz angebunden oder gelangweilt davongeeilt, obwohl wir gerade noch so nett in ein Gespräch über allerlei Mücken vertieft waren. Immerhin waren die Bärlauch-Ravioli anscheinend so viel wert wie die Monatsmiete eines Studierendenzimmers am Petersplatz, nicht dass das ein Problem wäre, die Liquidität gehört zu der Stadt, wie die Pfütze unter einer leckenden Leitung. Die Chemie hat alles flüssig gemacht. Als darauf der Kellner mit einer Resolutheit, die uns zu etwas auffordern sollte, die leeren Weinflaschen vom Tisch räumte, versuchten wir das vorzügliche Olivenöl leerzutrinken, bevor auch dieses eilig in Sicherheit gebracht wurde.
Die Schalungstafeln kamen am nächsten Tag so strahlend gelb von einem Kran her direkt aus dem Himmel gefahren, dass wir Sonnenbrillen tragen mussten, um uns nicht darauf zu übergeben. Der Keller war zum Glück gekommen. Mit seinem Sohn Max schraubte er in Rekordzeit Hölzli an die Platten, genau wie er es in seinem digitalen 3D-Modell bereits geplant hatte. Die Platten wurden anschliessend von Mariana zu einer zweiten Reihe Tropeninstitut-Grundgerüst zusammengefügt, während Johannes und Jacob sich wie Würmer im Entgiftungsprozess auf dem Gummiboden wanden. Der Oehler wollte am Abend für alle mit Spaghetti aufkochen, aber keine der Anwesenden Personen hatte noch Inspiration für sowas und es war wohl sowieso von vornherein eher ein Bluff gewesen vom Oehler. Ohne Mühe und erwähnenswerte Zwischenfälle hingegen wurde am folgenden Tag die dritte Reihe Grundgerüst des Tropeninstituts zügig fertiggestellt. In die Längsschlitze zwischen den Platten – es war ein richtiger Plattenbau – wurden Bambuslatten gereiht, um ein schattiges Dach anzudeuten, genau wie es die Architekten Kunz und Moesch auch bei ihrem Neubau in Allschwil versucht hatten. Mit dem Bambus obenauf und den Moskitonetzen, die jeweils einen Durchgang der Doppelgarage verschlossen, sah das Institut nun wie ein richtiger Neubau aus. Das fanden auch die Kuratoren vom Faltpavillon. Die waren gerade fertig geworden mit ihrem luftigen Zelt, das sie nur aufklappen brauchten, ganz ohne Kran. Das ging so schnell, dass sie gleich zwei Zelte aufklappten, diese übereinander stapelten und mit Kabelbindern an den Ecken verzurrten. Der doppelstöckige Plastik-Pavillon passte perfekt und zwängte sich exakt zwischen die Lichttrassen und Querbalken unter die Decke. Umschlossen von den weissen Vorhängen, die die grosse Fensterfront verdeckten, ergab der Pavillon eine elegante Skulptur mit hochgelegenen Plastikfenstern an jeder Seite. Im Inneren des Pavillons wurde ein Beamer aufgestellt und richtig eingestellt, damit er eine Videoarbeit von Anastasia Pavlou auf ein von ihr mit Schnüren an die Rückwand installiertes Brett projizieren konnte. Engy Mohsen kam mit einem Stapel Bücher aus Zürich die noch nie jemand gelesen hatte. Beatrice Hatebur brachte das Schlagzeug aus ihrem Kellerabteil in Riehen, auf dem sie noch nie gespielt hatte. Auf einem der Bücher stand Breasts and Eggs, darin wurde ein japanisches Quietschinstrument eingeklemmt und an die Wand kam eine saubere Reihe Kartoffeln. Die waren aus dem Aargau und wurden festgenagelt. Das war gut, das hatte Eleganz und bot den nötigen Halt für die gesamte Installation mit Büchern und Instrumenten, die ja leicht und poetisch war, eher luftig, konzeptuell, da war sowas Erdiges wie die Härdöpfel ein guter Anker und ein Stilmittel das für Erstaunen sorgen konnte.
Die Arbeit vom Willi war aber noch niemandem aufgefallen. Er schlug voller Wut auf die unbezahlte Drecksarbeit eine Scheibe ein. Sein Werk war eben die reparierte Scheibe. Aber nicht einfach nur, dass er die Scheibe reparierte, sondern wie der Willi die Scheibe reparierte, war faszinierend. Da konnte viel über kreative Prozesse gelernt werden. Und genau für sowas braucht es eben manchmal eine Wut im Bauch und Liebe zum Detail oder zum Leben generell. Tropenliebe zum Beispiel.
Jetzt wenden wir uns hier mal dem eigentlichen Tropeninstitut zu. Die Tänzerin Marie Jeger war beide Male dabei gewesen im Tropeninstitut in Allschwil. Sibylle Lustenberger, die eine Ausstellung in unserer Schalungsplattenneubauskulptur kuratierte, hatte uns zu einer Führung im originalen Institut eingeladen. Wir besuchten ägyptische Malariamücken und südostasiatische Tigermoskitos und bestaunten ihre kleinen Stechrüssel, die sie versuchten durch die Netzkäfige zu stecken, um an unser Blut heranzukommen. Sie bekamen aber nur Schweineblut aus kleinen Döschen und manchmal auch den Arm der wissenschaftlichen Mitarbeiterin Salome. Wir waren zu Recherchezwecken am Institut, Recherche für unsere Moskitopaintings über die eine Kuratorin gesagt hatte, das nur zwei Menschen im Kampf um dieselbe Leinwand solch absurde Malerei produzieren könnten. Wir lernten am Institut Mückenfallen zu konstruieren und wollten dieses neu erlernte Wissen gleich anwenden. Die Tänzerin Marie Jeger gab uns dafür ihr T-Shirt das sie zuvor bei einer Bewegungsübung für ihre Performance in der Ausstellung vollgeschwitzt hatte. Wir besorgten eine Flasche CO2 in Deutschland, einen Schlauch und ein stiefelförmiges Glas. Das T-Shirt banden wir an den Schlauch, den wir mit einem Ende an die CO2-Flasche anschlossen, das andere Ende hängten wir in den Glasstiefel, den wir mit Wasser füllten. Der Ausstoss von CO2, das im Wasser blubberte, sowie der Geruch von menschlichem Schweiss würden die Anwesenheit eines Menschen simulieren und Moskitos anlocken, die eventuell ihre Eier in dem Wasser ablegen würden. Die ganze Konstruktion sah ein bisschen aus wie eine Beinprothese die mit Druckluft angetrieben wurde. Sibylle Lustenberger, die Kuratorin, platzierte diese im Inneren der Neubauskulptur wo sie vor sich hin blubbern konnte.
„Immer wieder wichtig zu erwähnen ist, dass dieses Tropeninstitut vor allem eine Skulptur ist. Eine Skulptur die gleichzeitig auch als eigenständiger Kunstraum funktioniert“, erzählten wir eifrig einer Gruppe Besucher:innen. Einige gähnten oder schauten lieber auf ihre Telefone, nickten aber interessiert. Von so ein bisschen Desinteresse liessen wir uns nicht bremsen, nicht heute. So fuhren wir munter fort: „Rhythmus Messy Cambio, also dieser Raum hier, dieser Artspace, dieses Kunstwerk wie es auf der eigenen Website beschrieben steht, ist ja auf dem ehemaligen Ciba-Geigy-Areal angesiedelt. Das hat alles mit Chemie angefangen, da wurde gefärbt, Monomane, Polymere, Waschmittel, Schmierstoffe, Klebstoffe und Saccharin oder auch das Insektizid DDT. Süssstoff für den Kaffee unserer Tante Ursula, Später dann Novartis, also vor allem Pillen. Viel Kapital, viel Liquidität, grosse Unternehmungen, Rudolf Geigy. Ein Sohn der Geigy-Chemiekonzern-Familie, hatte eine Vorliebe für afrikanische Erdschweine, Warzenschweine und Tropenkrankheiten, die er eifrig untersuchte. Da war Afrika ein Paradies für ihn und ausserdem konnte er dort seiner Lieblingsbeschäftigung nachgehen, dem Abballern von grossen Tieren wie Elefanten, Löwen und Giraffen. Inspiriert durch das Netzwerk und die Arbeit der Basler Mission und den Wohlstand der unternehmungslustigen Familie Geigy konnten Rudolfs umfangreiche Expeditionen ungebremst stattfinden und führten in den Vierzigerjahren, gegen Ende des zweiten Weltkriegs zur Gründung des Schweizer Tropeninstituts. Dieses hatte vor allem die Aufgabe der Schweiz durch Wissen und dem damit verbunden Einfluss ausserhalb des gerade zerfallenen Europas neue starke Handelspartner und finanzielle Stabilität zu sichern”.
Bis auf den Titel hatte die Skulptur aber nur wenige Gemeinsamkeiten mit dieser Geschichte. Die Skulptur war nur eine Anlehnung und ein Abdruck von dem ganzen Beton des Neubaus in Allschwil, eine abgekratzte Schale, ein aufgereihtes Gehäuse. Es war das gesamte Ausstellungsszenario, das zusammengenommen ein Bild ergab. Dieses Bild versuchte von den Umständen seiner eigenen Produktion zu sprechen. Oder über den Kontext seiner eigenen Präsentation. Zumindest mal von der Kunst, der Chemie und der Stadt Basel. Wenn wir über das Szenario sprechen, dann gibt es da den bereits erwähnten Faltpavillon. Ein herkömmliches Zelt, wie es für Gartenpartys, Covid-Zentren oder Pop-up-Asyllager verwendet wird, diente den Künstlern Finn Curry und Michael Ray-Von als luftiger Ausstellungsraum. Der Pavillon bietet knapp genug Infrastruktur, um als Raum wahrgenommen zu werden, ist aber gleichzeitig durchlässig genug, dass das Aussen nie ausgeblendet wird. In seiner Fragilität wird der Pavillon selbst zum Objekt oder zur Skulptur, die wiederum anderen Kunstwerken oder ausgewählten Orten einen Rahmen bietet, der als Ausstellung gelesen werden kann. Durch die leichte Bauweise und den unkomplizierten Auf- und Abbau des Pavillons, kann dieser an jeden beliebigen Ort gebracht werden und somit ständig den Kontext der gezeigten Arbeiten verändern. Innerhalb unseres Szenarios im Klybeckareal, im Rhythmus Messy Cambio situiert, repräsentierte der Pavillon für uns den unabhängigen Basler Ausstellungsraum an sich, als erfahrbare Skulptur. In Kombination mit dem Neubau Tropeninstitut, erinnerte er uns auch an ein Expeditionszelt, das einen wildschweinjagenden Schweizer Tropenforscher beherbergen könnte.
Direkter Nachbar das Faltpavillons war in unserem Szenario die Installation Notes From the Space Under a Staircase. Beides stand auf einer Tartanbahn, fragen Sie nicht wieso, wir haben selbst nie eine Antwort auf diese Frage erhalten. Wir wissen nur, dass der Gummiboden weiss ist, leicht federt und nach Weichmachern riecht. Er bedeckt etwa die Hälfte des Raumes. Hier also, direkt neben dem Faltpavillon, waren zehn unterschiedliche Instrumente in einer Linie quer durch den Raum aufgereiht. Auf, unter, oder zwischen den Instrumenten klemmten verschiedene Bücher. An der Wand, in der Flucht hinter der Aufreihung hängten die zehn Kartoffeln aus dem Aargau in einer vertikalen Linie und begannen zu spriessen. Die ganze Installation war aus einer Zusammenarbeit mit Engy Mohsen und uns dem Hotel Simplon entstanden. Hier kamen auf kleinstem Raum einige komplexe konzeptuelle Projekte zusammen.
Das Hotel Simplon funktioniert teilweise ähnlich wie der Faltpavillon, nur dass es nicht mal ein Zelt gibt. Es ist also noch luftiger und wackliger, seiner Umgebung und dem Zufall schutzlos ausgeliefert, wirkte es neben dem Pavillon wie eine Nacktschnecke neben einer Hausschnecke. Das Hotel Simplon ist ein Kollektiv, das nur aus einer Person besteht, je nach Systemtheorie, kommen da ja aber schon ein paar tausend Organismen zusammen. Das Hotel hat auch Gäste, sonst wäre das ganze ja auch kein Hotel. Um unsere ambivalenten Gefühle zu diesem Projekt gleich anzusprechen, möchten wir sagen, dass solche Kollektive oder Kulturprojekte oder Bands mit dem Wort Hotel im Namen in uns sofort einen Würgereiz auslösen. Eine Ausnahme bildet hier nur die Band Tokio Hotel. Jedenfalls ist es nun mal so, dass es sich bei uns nicht einfach um ein Kulturprojekt, sondern wirklich um ein Hotel handelt, daher ist es sinnlos den Namen überhaupt infrage zu stellen.
Kehren wir lieber zum Ausstellungsszenario zurück. Da waren diese Instrumente die zwar Leuten gehörten, aber von diesen nie gespielt wurden, kombiniert mit Büchern die bei Leuten in Bücherregalen standen, aber nie gelesen wurden. Fein säuberlich, einmal quer über die Tartanbahn aufgereiht, standen oder lagen sie da. Die Idee dazu entstand während einiger Telefonate mit Engy Mohsen ausgehend von einem Raum unter einer, manchmal institutionellen, manchmal privaten Treppe und den Sachen die in solchen Unorten oder Schrankkammern anzutreffen sind. Sachen die nicht gebraucht werden, aber essentiell wichtig sind.
Eigentlich ist uns die Lust vergangen, zu den in diesem Text anfangs erwähnten Dieben zurückzukehren, aber der Umstand, dass sich die beiden zwei Laptops aus einem an die Ausstellung angrenzenden Bürozimmer genommen hatten, ist für diesen Text eben doch erwähnenswert. Sie hatten die Computer in einen danebenliegenden schwarzen Eastpak-Rucksack gestopft. Bevor sie aber das Paket durch die Hintertür in die Nacht entführten, hatten sie netterweise das Portemonnaie, die Haustürschlüssel, den Kugelschreiber, ein Bernstein Halsketterl und das Notizbuch aus dem Rucksack herausgenommen und auf den Beistelltisch gelegt.
Das mit dem Tropeninstitut hat ja genauso angefangen. Laptops waren zwar keine beteiligt gewesen, auch nicht der Oehler, der mit seinem gesunden Selbstvertrauen einen der vorbeieilenden Diebe kurzerhand in einen französischen Klammergriff genommen hatte. Aber am Anfang der Schweizer Tropeforschungs-Idee ging es auch darum zu stehlen, genau wie den Dieben an der Ausstellungseröffnung. Johannes Willi und Jacob Ott hatten auch einmal die Idee gehabt, Leute dazu anzustiften Sachen zu klauen. In einem Leipziger Kunstraum, dem IDEAL Space, machten die beiden die Ausstellung Komplize List, benannt nach dem Leipziger Räuber List. Die von den angestifteten Kompliz:innen gestohlenen Objekte wurden im Kunstraum, auf einem dafür entwickelten Display ausgestellt und in ein Online-Archiv für spekulativen-besitz.com überführt. Es ging also um Besitz. Hier haben wir den Kern der Sache herausgearbeitet. In ihrer nächsten gemeinsamen Ausstellung in einer Villa in Holland, hatten Willi und Ott die Ausstellungsbesucher:innen gebeten, ihr Blut mit Mücken zu teilen. Die Mückeneier hatten die beiden in einem Labor in Regensburg bekommen, um diese dann mühsam in den Ausstellungsräumen zu einem Mückenschwarm heranzuziehen.
Ihr Blut mit lästigen Stechmücken zu teilen waren nicht viele Leute bereit gewesen. Das Blut mit einer Mücke zu teilen verursacht vielleicht ein ähnliches Widerstreben, wie den Geldbeutelinhalt zu teilen – nur ohne jucken. Das mit den Mücken ist natürlich noch viel nerviger, wenn es sich gleich um eine ganze Kolonie handelt. Die nervigen Kolonien. Wenn die Bewohnenden der Niederlande nach Indonesien fahren, um dort eine Kolonie zu gründen, bringen sie auch nicht nur tolle Gewürze zurück, die sehr gut auf Pommes schmecken. Sie bringen auch Tigermoskitos mit. Die sind sehr hübsch gestreift, am Tag aktiv, hoch aggressiv und fieberbringend. Tigermoskitos mögen es hier in Zentraleuropa erst wirklich gerne, seit es auch hier wärmer wird. Das tut ihnen richtig gut, die Wärme und das europäische Blut.
In der Planungsphase des Neubaus, haben wir auch mit Pina gesprochen, da wir uns gefragt hatten, was sie wohl über das ganze Thema denkt, weil Pina bestimmt schon genauer über das alles nachgedacht hatte, als es uns jemals möglich gewesen wäre, und etwas dazu geschrieben hatte sie bestimmt auch schon. Sie hat uns mit zwei Basler Räubern aus dem 19. Jahrhundert bekanntgemacht. Diese waren so gute Räuber, dass sie ein Naturkundemuseum und ein Museum der Kulturen in Basel gegründet hatten. Paul und Fritz hiessen die beiden Cousins, die genauso gerne wie die Holländer:innen nach Indonesien fuhren, am liebsten auf die Insel Celebes (Sulawesi) um dort ihre Sarasin-Liebe auszuleben. Die holländische Krone verlieh den beiden dafür einen Ritterorden. Celebes wurde genauestens untersucht, in Büchern und Karten notiert oder gleich nach Basel verschifft. Knochen, ganze Gräber, Elefantenbabys, einfach alles, was nicht schnell genug weglaufen konnte. Das exotische Tropengut freute die Menschen in Basel so sehr, dass sie es tolerieren konnten, ein männliches Tropenforscher-Liebespaar in ihrer Stadt leben zu haben. Nur den Text, der die Verhältnisse der Cousins klargestellt hätte, fanden die Leute überflüssig. Es war besser diesen Text irgendwo in den Tropen zu lassen, ihn vielleicht unter einer Palme zu vergraben, so dass allen die versuchen sollten ihn zu studieren, eine Kokosnuss direkt auf den Schädel krachen würde. Hätte die indigene Bevölkerung von Celebes 1860 schon Laptops gehabt, hätten die Sarasin-Cousins diese bestimmt auch nach Basel verschifft. Dann könnten wir heute im grosszügigen Treppenhaus des Hauses der Kulturen darauf eine Arte-Doku über die zauberhafte Sulawesi-Insel anschauen. Wären die Diebe, die so unbemerkt während der feierlichen Eröffnung in die Ausstellung gehuscht waren um unsere tragbaren Computer zu klauen, nicht später beim Versuch mit der ebenfalls geklauten kolumbianischen Kreditkarte von Mariana ein Snickers zu kaufen erwischt worden, wären unsere Laptops vielleicht auch in einem Museum der Kulturen untergebracht auf einem anderen Kontinent oder auf einem anderen Planeten.
Ob sich die Diebe vor dem Diebstahl noch ein wenig die Ausstellung angesehen hatten? Wenn dem so wäre, was haben sie wohl gespürt? Nahmen sie eine spezielle Atmosphäre wahr? Ich selbst habe noch nie eine Ausstellung mit erhöhtem Adrenalinpegel angesehen. Diese Erfahrung machen nur Kunsträuber oder Vernissagenrdiebe. Und wären sie mit den Computern davon gekommen und hätten diese in einem Museum der Kulturen oder in einen Zoo oder einen Botanischen Garten stellen können, als stolzen neu erworbenen Bestandteil einer wichtigen Sammlung, wären sie vielleicht schon bald gefeierte Anthropologen und nicht in U-Haft am Kannenfeldplatz.
Rudolf Geigy wurde in Tansania ja nur „Warzenschwein“ genannt. Die meiste Zeit war er damit beschäftig sich durch Löcher zu wühlen um die Erdschweine aus ihren Höhlen zu locken. In diesen Höhlen lebten sie mit einigen Zecken in Gemeinschaft. Rudolf war an den Borrelien interessiert, die durch die Zecken auch auf Menschen übertragen werden konnten und dort ein schlimmes Rückfallfieber auslösen konnten. Die interessanten Bakterien gab es auch in den Gehirnen der Erdsäue, weshalb Rudolf zuerst in den Erdlöchern herum bohrte um die Säue herauszuholen und später mit einem korkenzieherartigen Gerät die Gehirne der Schweine durchbohrte um die Bakterien aufzustöbern. Dafür wurde ein kleines Quadrat auf der Stirn der Warzenschweine skalpiert, dann mit dem Handbohrer die Dicke Schädeldecke geöffnet, mit der Pinzette ein Fetzten Hirn herausgezogen das anschliessend direkt auf der heissen Motorhaube eines Geländewagens mitten in der Savanne unter einem Feldmikroskop untersucht wurde. Geigy rauchte dazu ununterbrochen Pfeife, ein bisschen Kultur sollte noch bewahrt werden.
In der Cafeteria des Tropeninstituts in Allschwil gab es Käsebälle zum Zmittag, die schmeckten wirklich grausig und waren seltsam zu kauen. „Für was gibt es eigentlich Mücken?“, fragten wir, nachdem wir die Käsebälle erfolgreich heruntergeschluckt hatten. Das ist natürlich eine Frage auf die es keine interessante Antwort gibt, zumindest nicht in aller Kürze, so wurden wir von den Biolog:innen geduldig angeblickt. Wir präzisierten unsere Frage: „Was würde passieren, wenn wir alle Mücken auf diesem Planeten auslöschen würden? Spielen die Mücken überhaupt eine Rolle in unseren Ökosystemen? Oder sind sie einfach Böse?“ Auf diese Frage gab es immerhin ein zustimmendes Nicken und dann noch die Versicherung, dass die Mücken schon ihre Wichtigkeit hätten. Mücken wären wohl eine tolle Proteinquelle für das tägliche Müsli der Fische, Vögel und anderer Insekten. Aber noch viel wichtiger, erklärt uns ein Biologe, sei die Aufgabe der Moskitos und speziell der weiblichen Mücken als Wächterinnen über besondere Biotope. Sümpfe, Moore, Regenwälder, Feuchtwiesen und andere Landschaftsmodelle zwischen Wasser und Land können oft eine hohe Biodiversität aufweisen. Das gefällt den Mücken, das wollen sie schützen, vor allem vor grösseren Säugetieren, die alles platttrampeln oder auffressen. Die werden dann zyklisch vertrieben, an andere Orte, so dass sich die Pflanzen und Kleintiere wieder regenerieren können und ein bisschen ihre Ruhe haben. In Finnland zum Beispiel, da werden grossflächig giftige BTI-Proteine eingesetzt um Moskitolarven auszurotten. In den Gegenden wo dies bereits seine Wirkung zeigt, gibt es jetzt viele Rehe, Elche und vor allem Unmengen an Touristen, die den Wald und das Baden geniessen ohne perforiert zu werden. Für die Touristen ist das mal was Schönes: baden und im Wald herum latschen. Auch die Jäger finden es toll und alle anderen, die keine Mückenfans sind. Endlich kann das Land besiedelt werden ohne dass das Blut geteilt werden muss. Welche Auswirkung diese Veränderung auf die fragilen, jetzt unbewachten Biotope hat, können wir uns vorstellen. In einigen afrikanischen Regionen sind die Mücken bereits resistent gegen diverse Insektengifte; vor allem in Gebieten, in denen Hochleistungslandwirtschaft betrieben wird. Da sind Pestizide fast schon ein unverzichtbares Grundnahrungsmittel im Mückenhaushalt.
Genau diese Moskitos, die vergifteten, die bewachenden und die resistenten, haben Johannes Willi und Jacob Ott mit Kartoffeln gekreuzt. Diese Kreuzungen haben sie im Prozess eines territorialen Kampfes über die Hoheit über die Bildfläche, zu zweit, gleichzeitig auf Leinwände gemalt. Jetzt wachten die Mücken als Gemälde über die endlosen Probleme und Fragen der Malerei. Und da die Mücken recht wackelig gemalt sind, haben die Maler den Kompositionen als stabilisierendes Element jeweils ein paar gelbe Schalungstafeln hinzugefügt. Da die beiden, genau wie die Mücken vor allem im Sommer aktiv sind, lief parallel zur Malerei auch immer die Tour de France auf einem kleinen Telefon, eingequetscht zwischen zwei Leinwänden, was den Mücken ihre Sportsonnenbrillen einbrachte. Diesen Mücken bauten Willi und Ott ein Institut. Ein Tropeninstitut. Einen Neubau.
Der Raum Rhythmus Messy Cambio, in welchem die beiden die Skulptur bauten, war zuvor als Fabrikhalle in Gebrauch der Basler Chemie. Diese finanzierte zu grossen Teilen die Basler Tropenforschung, wie heute die Kulturlandschaft, also haben sich Ott und Willi mal den Namen des Tropeninstituts für ihre Ausstellung und für ihre Skulptur ausgeliehen und für diese auch einige architektonische Elemente des Tropeninstitut-Neubaus in Allschwil adaptiert. Sie luden die am Tropeninstitut promovierende Biologin Sibylle Lustenberger ein, innerhalb ihrer Skulptur eine Ausstellung zu kuratieren, mit Arbeiten von Lisa Jäger und einer Performance von Marie Jeger. Lisa Jäger schickte zwei Malereien und eine Serie von abstrakten Türgriff-Objekten aus Wien, die es dann zwar leider nicht rechtzeitig zur Eröffnung schafften, da sie in München stecken geblieben waren. Marie Jeger entwickelte eine Mücken-Choreografie die sie im Duo aufführte. Da neben der Tropenforschung eben auch die Kulturlandschaft in Basel zitiert sein sollte, entwickelten Ott und Willi ein Ausstellungsszenario das neben dem Neubau-Tropeninstitut noch weitere hybridskulpturale Ausstellungsräume zusammenbrachte wie den Faltpavillon oder uns, das Hotel Simplon.
Am Ende des Eröffnungsszenarios dieser Ausstellung stand eine Polizistin mit einem Notizblock, ähnlich dem in welchem wir das hier alles von Hand notieren, da unser Laptop noch immer bei der Jugendstrafstaatsanwaltschaft in einer Schublade ruht. “Gibt es irgendwelche herausstechenden Erkennungsmerkmale die bei der Identifizierung ihres Laptops helfen könnten?“, fragte die Polizistin und starrte auf ihren Notizblock. „Die gibt es”, antworteten wir knapp. “Und die wären?“, fragte die Polizistin mechanisch weiter. “Aufkleber”, gaben wir zur Antwort. “Und steht etwas auf diesen Aufklebern?”, hakte die Polizistin nach. “Ja, ja”, antworteten wir brav, „auf einem steht ‚300g Pfirsiche Flach, Coop, Kilopreis 1.95 Schweizer Franken‘”. Die Polizistin notierte fleissig weiter. „Dann gäbe es noch drei weitere Aufkleber auf dem Laptop: Invitation, Eier und Radio.” Die Polizistin hielt kurz inne. „Was war das erste Wort?“ fragte sie jetzt ganz unmechanisch. „Invitation”, wiederholten wir langsam, „Englisch für ‚Einladung‘ und dann ‚Eier‘ wie ‚Eier‘ und dann noch ,Radio‘”. Die Polizistin schrieb alles auf. „Ok, verstehe, das ist ja eindeutig.” Die anderen Polizist:innen waren gerade damit beschäftigt drei Verdächtige in ein Auto zu stopfen um sie mit zum Kannenfeldplatz zu nehmen. Da kam noch ein vierter hinzu und wollte auch festgenommen werden – oder einfach nur zum Kannenfeldplatz. Also nahmen ihn die Polizist:innen auch mit.