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Schlange stehen in Basel

Q.U.I.C.H.E.

Es ist eine Katastrophe. Es ist ein weiteres Beispiel dafür, wie die Verdrängung von kleinen Geschäften durch Grossketten unser Leben schlechter macht. Zumindest meines. Denn die Basler Traditions-Bäckerei Krebs am Spalenring ist nicht mehr. Es ist ein Einschnitt in die Basler Kultur, der für mich weder voll zu fassen ist noch je ganz zu verkraften sein wird. Der Krebs war das Berghain von Basel. Diese Bäckerei war die einzige, wo man immer anstehen musste. Anders als im Berghain wurde man zwar sicher reingelassen, aber das hiess nicht, dass man wirklich bekam was man wollte. Gipfeli? Nach 10 Uhr? «Hahahahaha», lachte da die Verkäuferin, «Schon lange aus» – quasi das Bäckereiequivalent des berghainschen «sorry, heute nicht».

Wenn der Krebs dahin ist, wird man nirgends in der Stadt mehr anstehen müssen. Das kulturelle und kulinarische Überangebot Basels sorgt dafür, dass nicht Schlangen gebildet werden, sondern durchgewinkt wird. Gerade aber wenn es um Backwaren geht, ist in Basel kein Überangebot zu vermelden. Das Wegbrechen der Back-Institution ist für viele traumatisch.

Trauma war auch Thema während der Art Basel. Am Mittwoch der Messewoche lud Trauma Bar und Kino in die Kaserne ein, um dort dem Kunst-Musik-Crossover-Spektakel von Eartheater x Anna Uddenberg beizuwohnen. Vorab wurden zwischen den Messeständen die VIP-Einladungslinks für dieses Event getauscht wie Diddlblockblätter auf Grundschulhöfen der 90er-Jahre. Alle wollten dabei sein, unabnhängig von Kenntnis oder Zugang zum Werk von Eartheater und Uddenberg. Wenn die Coolness des Events gross genug ist, ist persönlicher Geschmack höchstens zweitrangig. Das massiv ausartende Tauschgeschäft der VIP-Linkeinladungen führte zu einem offenbar unerwarteten Ansturm auf die Reithalle. Etwa 500 Menschen, die so hip gekleidet waren, wie man es in Basel sonst nie sieht, harrten auf der Kasernenwiese über eine Stunde aus, um am spärlich besetzten VIP-Desk, wo langsam gearbeitet wurde, vorbei in die Halle zu kommen. Drinnen war noch mehr Anstehen, wobei es, kaum war das Licht gedimmt, weniger geordnet zuging, als in der braven, langen Schlange vor der Tür.

Warten, warten, warten

Die Türen öffneten sich und die Menge strömte in den Raum – nur um schon wieder zu warten. Ganz vorne, leicht erhöht an der Wand sitzend, warteten Klaus Biesenbach und Julia Stoschek, die zuvor im Trois Rois deren Sammlungsjubiläum gefeiert hatten. Wie Galionsfiguren sassen sie bühnennah und bestätigten so den Place to be.

Irgendwann begann zwischen plätschernden Wasservorhängen das Konzert. Der Auftritt sei «ein eindringlicher Kommentar zur Hyper-Sexualisierung in der Konsumgesellschaft und den zunehmend verschwimmenden Grenzen zwischen Authentizität und Fiktion» hiess es in der Ankündigung. Die Eindringlichkeit fand allerdings grösstenteils auf dem Bühnenboden statt, weshalb etwa 93 Prozent der Anwesenden nichts sahen ausser der ruckelige Live-Schalte mittels Anna-Uddenberg-Selfie-Stick-Smartphone.

So dauerte es eine Weile, bis das Konzert in Fahrt kam. Die vielen Menschen, die den Saal da schon verlassen hatten, hatten ihre Handyvideos gemacht und konnten posten, dass sie am Place to be waren. Die experimentelle Musik mussten sie sich nicht anhören. Während auf der Bühne das permanent filmende Handy künstlerisch thematisiert wurde, waren mindestens 100 Linsen permanent auf Eartheater (oder auf die Stelle, wo man sie auf der Erde vermutete) gerichtet. Eine Person filmte mit ihrem iPad, wodurch die Menschen dahinter einen Blick auf die Performerin in ihrer digitalen Doppelung erhaschen konnten.

Insgesamt schienen die Menschen nicht zu wissen, was sie mit der Darbietung anfangen sollten. Die Anstehschlange und die von ihr ausgehende Exklusivität waren für viele vielleicht spannender als die Musik. Eine Frau vor mir sagte «I gave up a seat at a dinner for this.» Vielleicht schaffte sie es noch zum Dessert. Vielleicht gab es ja Whisky-Stengeli vom Krebs. Sie hatte an ihren Ansteh-Soll dafür jedenfalls erfüllt – einfach an der Kasernentür statt am am Spalenring.

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