ooo is a digital platform for art and culture that emerged in 2022 from an initiative of cultural practitioners and artists. Through a changing pool of artists, writers and journalists from the field of art and beyond, ooo reflects and presents artworks, exhibitions and events through diverse approaches and forms of expression.

Sexy Schabe – Kafka-Jahr 2024

Q.U.I.C.H.E.

Männer, besonders männliche Autoren, haben es schwer. Bis auf Erzählungen, die auf Handlungsschauplätzen wie Gefängnissen, Internaten, Marineschiffen oder Militärbaracken – ich muss bei dieser Liste unweigerlich sowohl an Foucault als auch an schwule Pornografie denken – stattfinden, müssen sie in ihren literarischen Erzeugnissen über Frauen schreiben. Denn Frauen treten mit hoher Wahrscheinlichkeit an allen anderen Orten auf. Vielleicht wäre ein einsamer Leuchtturm noch denkbar als rein maskuliner Handlungsort. Aber dann muss man die phallische Qualität des Ortes mitdenken. Was auch nicht ohne ist.

Das Schreiben über Frauen ist voller Tücken. Kann ein Mann überhaupt über Frauen schreiben? Oder gar aus der Sicht einer Frau? Sicher sollte vorher Recherche betrieben werden. Man(n) sollte sich Tipps von anderen Autoren suchen. Auf der Autorenwebsite stage32.com publizierte ein gewisser CJ Walley beispielsweise, dass er es liebe, aus der Sicht von Frauen zu schreiben. Er bemerkt: «Women are quirky, dynamic, and colorful; they can be cocky, arrogant, repressed and overconfident.» Indeed they can. Falls diese Hilfestellungen nicht reichen, sollte ein Autor, der für literarische Qualität keine Aufwände scheuen will, sich vielleicht auf das Äusserste einlassen und mit einer Frau reden. Reden sei hier im Sinne von Zuhören verstanden. Hoffentlich gerät der suchende Autor nicht an eine der «cocky» Damen.

Trotz Tipps und Tricks für schreibende Männer geht die männliche Perspektive auf Frauen häufig in die Hose. Oder besser gesagt: in die Bluse. Männliche Autoren werden nicht müde, Brüste blumig und bizarr zu schildern. Foren im Internet sammeln Momente, in denen es Männern weniger glückte, die Eigenschaften des weiblichen Geschlechts mit der Feder abzutasten. Campbell Blacks «Letters From the Dead» wird gerne zitiert, wo über eine 35-jährige Frau geschrieben wird: “Martha could feel the body yielding and the bones complaining and the breasts, as if they had lives of their own, sagging audibly in the night.” Blacks Recherche zu hörbar hängenden Brüsten muss ein aufregender Teil der Vorbereitungen für «Letters From the Dead» gewesen sein.

Mein persönlicher Favorit verirrter und zumeist übersexualisierter Beschreibungen von Frauen sind die blumigen Worte von Chuck Palahnuik in «Damned». Er schreibt «The cold air made my hair stand up from the roots the way my nipples stood erect, every follicle on my arms and legs becoming a tiny clitoris, and every cell of me awake and alert at rigid attention.» Wäre die männliche Variante davon, dass in kalter Luft alle Haare am Körper wie kleine Penisse in die Luft stehen? Eine Art Penis-Hellraiser-Pinhead?

All diese Gedanken gingen mir durch den Kopf während ich in der Labyrinth-Buchhandlung einen Kafka-Tisch zu dessen Todestag sah, der sich am 3. Juni 2024 zum hundertsten Mal jährte. Die Frauen in Kafkas Werk sind meistens nur Randfiguren. Ihnen haftet entweder etwas Distanziertes oder etwas Überzeichnetes und Manisches an. In «Der Process» pendelt das Frauenbild zwischen dem zurückhaltenden Fräulein Bürstner, die von K. sexuell belästigt wird, und der Frau des Gerichtsdieners, die mit zur Schau gestellter Freizügigkeit Männer umgarnt und kaleidoskopische Einblicke in den Irrsinn der Rechtswelt bietet. Es wird angedeutet, dass nahezu alle Frauen, die in «Das Schloss» erscheinen, eigentlich Prostituierte sind, oder zumindest jedem Gesandten des Schlosses fügsam sein müssen. Das Treffen mit Carla Pollunder in «Der Verschollene» ist Ursache dafür, dass Karl Roßmann von seinem Onkel verstossen wird. Nicht nur das: Carla verprügelt Karl buchstäblich während ihrer Begegnung. Die Frauen sind im besten Fall zurückhaltende Mauerblümchen oder aber sexuell bedrohliche Wesen aus anderen Welten, die im schlimmsten Fall Unheil bringen.

Ein Versuch:

Was passiert, wenn wir Unruhe in Kafkas Geschlechterrollen bringen? Wie können Ambiguität und Transgeschlechtlichkeit neue Facetten aufmachen in diesem umfangreich studierten und beschriebenen Werk? Können wir uns Georgia Samsa als sexy Schabe vorstellen? Wie würde ein männlicher Autor sie beschreiben? Welche hanebüchenen Wortsalven würden die Ungeziefer-Brüste zu fassen versuchen?

Die Verwandelte

Als Georgia Samsa eines Morgens aus unlauteren Träumen erwachte, fand sie sich in ihrem mit einer Vielzahl von Plüsckisschen gefüllten Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt. Sie lag auf ihrem panzerartig harten Rücken und sah, wenn sie den Kopf ein wenig hob, ihre gewölbten, braunen, bogenförmig gigantischen Käferbrüste, auf deren Höhe sich die Bettdecke, zum gänzlichen Niedergleiten bereit, kaum noch halten konnte. Ihre vielen, im Vergleich zu ihrem sonstigen Umfang kläglich dünnen Beine flimmerten ihr hilflos und ausgeliefert vor den Augen.

«Was ist nur mit mir geschehen?», dachte sie. Es war kein Traum. Ihr Zimmer, ein richtiges, nur etwas zu kleines Menschenzimmer, lag ruhig zwischen den vier wohlbekannten Wänden, welche über und über mit Nippes und kleinen Bildchen bedeckt waren. Über dem Tisch, auf dem eine auseinandergepackte Musterkollektion von Schminkwaren ausgebreitet war – Samsa war reisende Vertreterin – hing das Bild, das sie vor kurzem aus einer illustrierten Zeitschrift ausgeschnitten und in einem hübschen, vergoldeten Rahmen untergebracht hatte. Es stellte eine Dame dar, die, mit einem Pelzhut und einer Pelzboa versehen, aufrecht dasass und einen schweren Pelzmuff, der ihre noch grössere Oberweite, die den Mantel füllte, als lägen dort zwei junge Bären im Winterschlaf, verdeckte, dem Beschauer entgegenhob.

Georgias träumerisch sehnsüchtiger Blick richtete sich unsicher suchend dann zum Fenster, und das trübe Wetter – man hörte Regentropfen auf das Fensterblech aufschlagen – machte sie ganz melancholisch. «Wie wäre es, wenn ich noch ein wenig weiterschliefe und mich süssen Träumen hingäbe von einhörnigen Fabelwesen», dachte sie, aber das war gänzlich undurchführbar, denn sie war gewöhnt, auf der rechten Seite zu schlafen, konnte sich aber in ihrem gegenwärtigen Zustand nicht in diese Lage bringen. Auf dem Rücken liegend, konnte sie unter der Last ihrer Brüste kaum atmen, da sie wie pralle Sandsäcke auf ihr lagen, um eine Flut von Sauerstoff in ihren zarten Lungen zu halten. Mit welcher Kraft sie sich auch auf die rechte Seite warf, immer wieder schaukelte sie in die Rückenlage zurück. Sie versuchte es wohl hundertmal, schloss die Augen, um die zappelnden Beine, die in dieser neuen Form der kräftigen Schenkel beraubt waren, nicht sehen zu müssen, und liess erst ab, als sie in der Seite einen noch nie gefühlten, leichten, dumpfen Schmerz zu fühlen begann.

«Ach Gott», dachte sie, «was für einen anstrengenden Beruf habe ich gewählt! Tag aus, Tag ein auf der Reise. Die geschäftlichen Aufregungen sind viel grösser, als im eigentlichen Geschäft zu Hause, und ausserdem ist mir noch diese Plage des Reisens auferlegt, die Sorgen um die Zuganschlüsse, die Sorge, ob das Haar richtig sitzt, das unregelmässige, schlechte Essen, ein immer wechselnder, nie andauernder, nie herzlich werdender menschlicher Verkehr. Wurden denn für all diese Anstrengungen meine zarten Hände gemacht?» Sie fühlte ein leichtes Jucken oben auf dem Bauch; schob sich auf dem Rücken langsam näher zum Bettpfosten, um den Kopf besser heben zu können; fand die juckende Stelle, die mit lauter kleinen weissen Pünktchen besetzt war, die sie nicht zu beurteilen verstand; und wollte mit einem Bein die Stelle betasten, zog es aber gleich zurück, denn bei der Berührung umwehten sie Kälteschauer, fast so, wie sie in früher schon empfunden hatte, wenn sie sich des Abends im Bett berührt hatte.

Sie glitt wieder in ihre frühere Lage zurück. «Dies frühzeitige Aufstehen», dachte sie, «macht einen ganz blödsinnig. Der Mensch muss seinen Schlaf haben. Andere Reisende leben wie Lustknaben. Wenn ich zum Beispiel im Laufe des Vormittags ins Gasthaus zurückgehe, um die erlangten Aufträge zu überschreiben, sitzen diese Herren erst beim Frühstück. Das sollte ich bei meinem Chef versuchen; ich würde auf der Stelle hinausfliegen, auch wenn ich weiss, dass er mir kleine Zugeständnisse zu machen pflegt, wenn ich die weisse Bluse mit dem lockeren Spitzenrevers anziehe. Jetzt allerdings muss ich aufstehen, denn mein Zug fährt um fünf.»

Und sie sah zur Weckuhr hinüber, die auf dem Kasten tickte. «Himmlischer Vater!», dachte sie. Es war halb sieben Uhr, und die Zeiger gingen ruhig vorwärts, es war sogar halb vorüber, es näherte sich schon dreiviertel. Sollte der Wecker nicht geläutet haben? Man sah vom Bett aus, dass er auf vier Uhr richtig eingestellt war; gewiss hatte er auch geläutet. Ja, aber war es möglich, dieses möbelerschütternde Läuten ruhig und in süssen Träumen zu verschlafen? Nun, ruhig hatte sie ja nicht geschlafen, aber wahrscheinlich desto fester und genauso fester die feinen Kisschen an ihren sich verändernden Körper gepresst. Was aber sollte sie jetzt tun? Der nächste Zug ging um sieben Uhr; um den einzuholen, hätte sie sich unsinnig beeilen müssen, und die Kollektion mit ihren vielen pastelligen Tübchen und Fläschchen war noch nicht eingepackt, und sie selbst fühlte sich durchaus nicht besonders frisch und beweglich. Ganz steif war ihr Körper, der sonst eher durch seine zarten und ausladenden Rundungen auffiel. Und selbst wenn sie den Zug einholte, ein Donnerwetter des Chefs war nicht zu vermeiden, selbst wenn sie ihre besten Argumente in der weissen Bluse mit Spitzenrevers präsentieren würde. Denn der Geschäftsdiener hatte beim Fünfuhrzug gewartet und die Meldung von ihrem Versäumnis längst erstattet. Es war eine Kreatur des Chefs, ohne Rückgrat und Verstand. Wie nun, wenn sie sich krankmeldete? Das wäre aber äusserst peinlich und verdächtig, denn Georgia war während ihres fünfjährigen Dienstes noch nicht einmal krank gewesen. Gewiss würde der Chef mit dem Krankenkassenarzt kommen, würde den Eltern wegen der schönen, aber faulen Tochter Vorwürfe machen und alle Einwände durch den Hinweis auf den Krankenkassenarzt abschneiden, für den es ja überhaupt nur ganz gesunde, aber arbeitsscheue Menschen gibt. Und hätte er übrigens in diesem Falle so ganz unrecht? Georgia fühlte sich tatsächlich, abgesehen von einer nach dem langen Schlaf wirklich überflüssigen Schläfrigkeit, ganz wohl und hatte sogar einen besonders kräftigen Hunger und eine leicht kitzelnde, wohlige Lust in ihrem Bauch, direkt unter ihrem wie die goldenen Kuppeln an einem sonnigen Morgen in Istanbul thronenden Busen, dessen Käfernippel trotz Härte des Panzers steif gen Decke standen, jetzt wo die Bettdecke ganz von ihnen abgerutscht war.